Ein Fohlen wird geboren
Ein Fohlen wird geboren

Ein Fohlen wird geboren

Da liegt etwas Kleines im Gras

(Text vom 15. Mai 2013)
15. Mai 2007 – es ist nasskalt, der Frühling will nicht so recht in Gang kommen. Auf meiner Weide stehen seit vergangenen Sommer zwei Pony-Stuten und ein Pony-Hengst. Sie sind zu Gast bei mir und im Besitz einer Frau, der mehr als 100 Pferde gehören. Darunter eine große Herde Dülmener, die jeweils im Frühjahr die Weiden rund um das Wolfsnest einnehmen und im Herdenverband mit Hengst ihre Fohlen führen.

Ich habe um 10 Uhr einen Termin  – Wirtschafts-Englisch an der Hamburg School of English. Es regnet, als ich den Stall gehen will, um einen Arm voll Heu für die Tiere zu holen. Ein merkwürdiges Gefühl sagt mir: Etwas ist anders, heute.

Meine Güte, ist das winzig!

Unter den überhängenden Zweigen der Erlen steht die kleinere der beiden Stuten. Sie kommt nicht – wie sonst üblich – nach vorne zum Füttern. Und da liegt etwas im Gras. Etwas Kleines, Braunes. Und sehr Nasses. Dieses Wunder der Natur zu beschreiben, fällt mir schwer. Über Nacht wurde auf unserem Land ein kleines Fohlen geboren. Es ist so winzig, dass man es aus der Ferne ohne Weiteres für ein Rehkitz halten könnte. Mit hängendem Kopf steht die Stute nahe bei ihrem Nachwuchs und beschnuppert ihn sorgsam. Als ich langsam und mit weichen Beinen näher komme, rappelt sich der fohlenlockige Zwerg auf und steht ebenfalls auf sehr weich scheinenden, kurzen Beinchen etwas verloren wirkend in dieser ungastlichen Welt. Dem Muttertier ist nichts anzusehen und anzumerken von der Geburt, die ja auch für ein Tier mit Strapazen, Schmerz und Anstrengung verbunden ist. Sie sieht mich aufmerksam an und beobachtet jede meiner Bewegungen.

Die ersten Schritte

Unterdessen stakst ihr Fohlen zur Schubkarre und versucht, die mütterlichen Zitzen am kalten Metall zu finden. Es bedarf einer sanften Aufforderung im feuchten Fell, bis die Kleine begreift, wo die Leben spendende Milchquelle zu finden ist. Ich bin aufgeregt, glücklich und kann kaum glauben, dass wir einen neuen Gast im Wolfsnest haben. Die Nachgeburt ist schnell gefunden und Mutter und Kind machen einen gesunden und zufriedenen Eindruck. Der Neugierde des Pony-Hengstes kommen die beiden Stuten gemeinsam zuvor und zeigen ihm in deutlicher Pferdesprache die Grenzen auf.

Ein Name für die Kleine ist schnell gefunden. Thora soll sie heißen, weil sie am gleichen Tag geboren wurde, wie 12 Jahre zuvor Thore, der Sohn meines Mannes.

Und gleich noch einmal, weil es so schön ist

Im August 2007 steht ohne jede Vorankündigung Thoras kleiner Bruder morgens auf der Weide. Deutlich agiler, frecher und voller Tatendrang jagt das neugeborene Hengstfohlen bald schon hinter der großen Schwester her. Ich sehe den beiden Fohlen dabei zu, wie sie ihre Welt entdecken, miteinander spielen, raufen, ihre Kräfte messen, einander einfach nur das Fell pflegen oder sich gegenseitig die lästigen Fliegen vom Leib halten. Als im nächsten Frühjahr die kleine Herde wieder in ihren Heimatstall zurückkehren soll, ist klar: Die beiden Fohlen sollen dort bleiben dürfen, wo sie geboren wurden.

Dicky, Schnubbel, Späckchen, Zauselchen, Zuppelchen …

Beide Tiere sind mir sehr ans Herz gewachsen. Thora, scheu, eigenwillig und bisweilen mächtig dickköpfig. Und ihr kleiner großer Bruder, der sie ein gutes Stück überragt, aus nicht erklärbaren Gründen bis heute keinen Namen hat und stattdessen mit der ganzen Fülle an Spitznamen bedacht wird, die seinem Wesen nahe kommen. Er ist kess, neugierig, auf sympathische Weise, bisweilen aufdringlich und ein Tier, das immer wieder menschliche Nähe sucht.

Ausgeträumt.

Mein Kinder- und Mädchentraum war, ein eigenes Pferd zu haben. Die Freude an diesen Tieren fand ihren Ausdruck in Zeichnungen, Geschichten, in stundenlanger Beobachtung und Studien im Haupt- und Landgestüt Marbach auf der Schwäbischen Alb, einem meiner Lieblingsorte in meiner alten Heimat. Erfüllt hat er sich ganz von selbst, mit der Geburt dieser beiden Fohlen, die mir immer wieder Glücksmomente bringen, allein durch ihr Vorhandensein, ihre Gesellschaft und die Zuverlässigkeit in ihren bescheidenen Bedürfnissen.

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