Wildtiere im Garten: Rehle. Rehle. Rehle.
Wildtiere im Garten: Rehle. Rehle. Rehle.

Wildtiere im Garten: Rehle. Rehle. Rehle.

Wilde Gäste im winterlichen Garten

Schockstarre

Ich war vielleicht 5 oder 6 Jahre alt, als wir bei einem Spaziergang mit der Familie im Wald ein Reh überrascht haben. Und das Reh uns. Das Tier stand da wie angewurzelt. Und wir auch.
Vermutlich waren es nur wenige Sekunden, aber in meiner Erinnerung hat es sich angefühlt wie eine kleine Ewigkeit. Das schöne Tier starrte uns an, wir starrten das schöne Tier an. Und zwischen ihm und uns lagen keine 10 Meter.

Körperliche Höchstleistung

Heute und viele Jahre später stelle ich mir den erstaunlichen physischen Prozess vor, der in dem Tier stattgefunden haben muss: Vom Moment der Überraschung an, über die Starre hinweg bis zu dem Augenblick, in dem sich das Reh aus der absoluten Bewegungslosigkeit in einer einzigen koordinierten und kraftvollen Bewegung und auf den Hinterbeinen drehend herumwarf, um schließlich in wenigen aber ungemein ambitionierten Sprüngen eine Sicherheit versprechende Distanz zu uns zu schaffen. Ich weiß noch, dass wir gerätselt hatten, ob das Zauberwesen echt oder in Staun gehauen war.
Dann blieb das Reh stehen. Und starrte uns wieder an. Und wir das Tier. Es schien sich zu vergewissern wollen, dass wir die Anstrengung und die Muskelkraft auch wert gewesen seien. Und als auch wir uns aus unserer Starre lösten, um herauszusprudeln, was uns eben widerfahren war, türmte das Reh schließlich in arttypischen Zick-Zack-Sprüngen und war schon kurz darauf aus unserem Blickfeld verschwunden.

Winterzauber

Und noch einmal, ein paar Jahre später und in einem anderen Wald, durften wir einen ähnlich schönen Moment erleben mit diesen grazilen und scheuen Wildtieren: Da waren wir an einem 24. Dezembermorgen mit Maurerkellen und einer Holzkiste Moos für unsere weihnachtliche Krippe suchen. Und plötzlich knackte es im Unterholz und durch den tiefen Schnee stakten, von einem Waldstück ins andere und hintereinander in einer Spur folgend, mehr als 10 Rehe. Es war atemberaubend schön, ihnen dabei zuzusehen.

Tierliebe

Seither bin ich regelrecht verliebt in solche Momente, in denen mir in dieser Form Natur begegnet und ich ihr. Und ich könnte kein besseres Bundesland für mein Wildtier-Faible zur zweiten Heimat gewählt haben, als Schleswig-Holstein. Denn Rehwild, Sikawild, Damwild und Rotwild, ja sogar Mufflons trifft man hier reichlich an, wenn man weiß wo und wann. Und vor allem auch wie. Also leise, gegen den Wind und mit etwas Geduld. Und immer wieder sind diese Begegnungen unbeschreiblich schön. Die Anmut der Tiere, ihr scheues Wesen, ihre Schönheit und ihre zurückgezogene Lebensweise lassen immer wieder der angenehmen Illusion anheim fallen, Teil einer intakten Natur zu sein. Dabei weiß ich natürlich, dass die Rückzugsräume der Tiere immer kleiner werden, dass Verkehr und landwirtschaftliche Nutzung, Solarparks und Windkraftanlagen und nicht zuletzt wir freizeitlichen Waldfreunde es den Wildtieren immer schwerer machen, ihrem Wesen entsprechend zu leben.

Derweil im Ballungsraum

In meiner schwäbischen Heimat sind solche Begegnungen inzwischen sehr selten geworden. Die Tiere müssen sich noch mehr zurückgezogen haben, noch scheuer geworden sein und damit auch reagiert haben auf die unzähligen Hundebesitzerinnen und -besitzer, die den Wald mit ihren Tieren als Erholungsraum beanspruchen. Hier bei uns – meine ich – im Zusammenhang mit Corona auch eine entsprechende Veränderung wahrgenommen zu haben: Wo ich vor ein paar Jahren noch regelmässig mutterseelenallein mit meiner Kamera unterwegs war, sprechen unzählige neue Verbots- und Gebotsschilder im Wald eine deutliche Sprache.

Gut besucht

Manchmal muss ich gar nicht erst in den Wald gehen, um Rehe zu erleben. Dann besuchen sie mich in meinem Garten. Sie lieben den Efeu, die vielen Eicheln und Kastanien unter unseren Bäumen und leider auch die Rosenknospen. Und so bin ich immer mal wieder hin- und hergerissen zwischen heller Begeisterung und gärtnerischem Groll. Für die Besuche Ende Juni bin ich inzwischen gewappnet: Blutmehl und diverse fiese Parfümproben, verteilt rund um den Garten, halten die Rehe davon ab, mir die Rosenblüte zu versauen. Und über ihren Besuch im Winter freu ich mich immer wie als kleines Kind. So auch vorgestern, als früh am Morgen drei Tiere unter den Eichen nach Früchten gescharrt und sich von mir haben fotografieren lassen. Ich bin im Schlafanzug und in Puschen ums Haus geschlichen, hab mich hinter den Holzkörben versteckt und die wenigen Sekunden genossen, bis ihr Instinkt wieder einmal stärker war, als der Hunger. Obwohl sie mich weder sehen noch wittern konnten, hoben sie kurz darauf schon nacheinander die Köpfe und entschlossen sich zum geordneten Rückzug.

DNA

Meine Liebe zu diesen Tieren hab ich übrigens geerbt von meiner Mama. „Rehle. Rehle. Rehle.“ Kaum eine Autofahrt oder eine Wanderung, auf der sie nicht früher oder später in diese wortgewordene Form der Begeisterung verfiel, wenn irgendwo am Waldrand und in den Wiesen ein Reh stand, über das wir uns alle gemeinsam freuen konnten.


Ich füge einige informative Links zum Thema Wildtierentwicklung bei

Wildtierbericht Baden-Württemberg
https://www.wildtierportal-bw.de/de/p/jagd-und-jagdrecht-in-bw/wildtierbericht-1158.html

Wildtierkataster Schleswig-Holstein
https://www.wildtier-kataster.uni-kiel.de/

Bestandsentwicklung Wildtiere in der Bundesrepublik Deutschland / Wildtierschutz Deutschland e.V.
https://www.wildtierschutz-deutschland.de/wildtierblog/categories/bestandsentwicklung-wildtiere

Der Einfluss der Corona-Krise auf die Umwelt
https://www.umweltbundesamt.de/themen/der-einfluss-der-corona-krise-auf-die-umwelt


4 Kommentare

  1. Volkhard Rüh

    Ich durfte ein paar Mal mit dem Vater eines Klassenkameraden in der Grundschule mit auf den Hochsitz. Da beobachteten wir Wild. Rotwild, Wildschweine. Geschossen wurde nicht. Ich denke, dass die Jagd dann, in den Sechzigern, noch ethisch verantwortet war.
    Wie stets…Du nimmst den Leser mit.

    1. Heike Pohl

      In mir streitet sich da alles. Ich kenne Jäger, die gleichzeitig auch Verantwortung tragen für das Land, auf dem sie jagen. Die einen Bezug zur Natur haben, zu den Tieren, die das alles als Gesamtes begreifen, dessen Teil sie selbst auch sind. Und dann kenne ich welche, die halt gern schießen und töten und nicht verhindern können, dass man ihnen genau die Lust an beidem anmerkt. Tja, und dann bin da noch ich, die ich Wildgulasch esse und in Verzückung verfalle, wenn ich irgendwo einen Hirsch sehe. Es ist einfach alles nicht wirklich stimmig.

      1. Volkhard Rühs

        Ich lese, dass auch in Deutschland die Treibjagd auf Rotwild zunimmt. Grässlich. In Frankreich schon immer die Gewohnheit. Abknallen. Je mehr desto besser. Alles, dass bewegt. Das hat nichts mit der Verantwortung von Jägern zu tun.

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