Dies ist kein Nachruf! Sondern Nostalgie im Glas.
Die Stufen waren kurz und steil und man musste den Kopf einziehen, um nicht gegen die Decke zu stoßen beim Hinabsteigen. Der Keller meiner Großeltern im Schwarzwald war nicht nur ein Keller, sondern eine wahre Schatzkammer. Ein Paradies. Er barg ein ganzes Gartenjahr in Gläsern, Kisten, Tiegeln und Töpfen. Saures Kraut im Fass. Gurken in Dill, Kräutern und Ton. Äpfel und Kartoffeln, gut gelagert in Kisten zum Überwintern. Und Sommer und Herbst, in Zucker getränkt, und in Gläsern zur Schau gestellt.
Pflaumen, Mirabellen, Johannis-, Heidel- und Stachelbeeren, Kirschen, Birnen und Quitten, Bohnen, Karotten, Erbsen, Kürbis und Kohl – meine Großmama war, wie so viele Frauen ihrer Generation, eine Meisterin des Einkochens und Einmachens.
123 Jahre Einkochen mit WECK
Im Jahr 1900 begann sie, die Erfolgsgeschichte der Firma WECK und damit auch die des Einkochens. Johann Weck und Georg van Eyck gründeten im südbadischen Öflingen die Firma J. WECK & Co. und verkauften Einkochgläser, -ringe, -töpfe und -zubehör.
Dass der Mensch Vorräte anlegt, gehört zu seinem Wesen, wie das Bedürfnis nach Sicherheit. Vorräte halten in Zeiten von Hunger, Not und Entbehrung am Leben. Der unschätzbare Wert haltbarer Lebensmittel zeigt sich nicht allein in privaten Haushalten, es galt von jeher, ganze Armeen, Schiffsbesatzungen und Expeditionen mit Essbarem versorgen zu können.
Die ersten Versuche mit der stofflichen Veränderung von Luft bei veränderten Temperaturen machte schon 400 Jahre vor WECK der Magdeburger Gelehrte Otto von Guericke. Die Crux des Einkochens nach WECK besteht darin, dass zwischen Deckel, Gummi und Kochgut ein steriles Vakuum entsteht. Der eigentliche Erfinder des Prinzips, ein promovierter Chemiker namens Rudolf Rempel, verstarb sehr jung und vermachte sein Wissen in Form seiner Patente an Johann Weck.
„Sauregurkenzeit“
Es ist sicher kein Zufall, dass gerade Frauen, die einen oder sogar zwei Weltkriege überstanden hatten, begeistert davon waren, als die Firma WECK mit ihren Gläsern auf den Markt gekommen ist. Zuvor wurde Jahrtausende lang getrocknet, eingesalzt und gepökelt, eingesäuert und eingedickt und in jüngerer Zeit dann mit Unmengen von Salz, Zucker und Essig hantiert. Viele Lebensmittel verloren dadurch ihr Ursprüngliches und veränderten sich grundlegend in Form, Farbe, Geschmack und Aussehen. Anders beim Einmachen!
Ihren Siegeszug begannen die WECK-Gläser mangels Werbung allerdings nicht im Süden unseres Landes, wo sie „erfunden“ wurden, sondern in Emmerich, Wesel und Umgebung, von wo aus der Kaufmann Georg van Eyck mehr Gläser verkaufte, als alle anderen Geschäfte in Deutschland zusammen. Van Eyck und Weck stellten unzählige Hauswirtschaftslehrerinnen ein, die in Kochschulen, Pfarr- und Krankenhäusern reihenweise Vorträge hielten und eine erste Generation Frauen auf Gläser und Zubehör einschworen.
Der Kreis zum Keller meiner Großmutter schließt sich, wenn heute, mehr als 40 Jahre später, in meiner eigenen Küche WECK-Gläser darauf warten, einen Teil der Ernte des Jahres in Frische und Geschmack einschließen und bewahren zu dürfen.
Vintage oder was?
F R Ü H E R, das ist auf eine Art ein Zauberwort, denn es birgt eine Welt der Erinnerung, der Sehnsüchte und der großen Gefühle. Nostalgie ist die gedankliche Hinwendung an Vergangenes, sie findet Vollendung im englischen Begriff „Vintage“, der all das vereint, woran man sich gerne erinnert: Handarbeiten wie Stricken und Häkeln, Nähen, Möbel und Wohnaccessoires aus früheren Jahrzehnten, Kleidung, und nicht zuletzt Eingemachtes im Glas.
Es wurde also zwischenzeitlich wieder und mit viel Zeit und Liebe eingekocht und eingemacht wie f-r-ü-h-e-r. Und es kamen viele Ideen hinzu, wie zum Beispiel der Kuchen im Glas. Auf Facebook, Instagram, Pinterest und Co. oder auf unzähligen Foodblogs präsentieren Menschen ihre Leidenschaft fürs Eingemachte und bieten eine schier unerschöpfliche Quelle der Inspiration.
Alles wird eingekocht: Paprika und Tomaten, Zucchini und Auberginen, Fleisch und Wurst, Gurken und Äpfel, Birnen, Bohnen und Käse, Möhren und Pflaumen, Rote und Gelbe Bete, Kohl und Kürbis, Holunderbeeren und Pilze und so vieles mehr.
Wenn ich heute in meine eigene Speisekammer gehe und dort die hübschen Gläser stehen sehe, dann erfasst mich, wie damals im Keller der Oma, dieses leise Staunen über das Füllhorn, aus dem wir schöpfen dürfen. Über die Natur, die mir Früchte und Gemüse schenkt, über das kleine „Zauberwerk des Einmachens“, das mich bei vielen Gelegenheiten stolz und zufrieden sagen lässt: „Das habe ich selbst gemacht.“ Und manchmal sogar selbst gepflanzt und geerntet.
Nun hat die Firma WECK Insolvenz angemeldet und damit – wie zu lesen ist – einen wahren Boom ausgelöst. Der Online-Shop brummt angeblich und die Berichterstattung über die drohende Pleite hat den Hype ausgelöst. Vielleicht geht sie ja weiter, die über 120-jährige Firmengeschichte der J. Weck GmbH & Co? Schön wäre das.
Und meine Großmama hätte sich ganz sicher darüber sehr gefreut.
Derweil sortiere ich ca. 20 Flaschen Holunderblütensirup ins Regal, soeben frisch eingekocht in WECK-Flaschen und haltbar weit übers Jahr hinaus.
Einmachen macht glücklich
Ich habs gesammelt, gezupft, gepflückt, geschnibbelt, geschält, gewürfelt, gemixt, gefunden, gefangen – es verschafft mir ein Gefühl der Glückseligkeit, Köstlichkeiten hinter Glas zu bringen und sie im Regal stehen zu sehen. Und am schönsten ist es, Beute aus der Natur mitzubringen. Dinge nicht zu kaufen, sondern zu sammeln. Wie die Steinpilze weiter unten. Oder Holunderblüten. Schlehen. Kräuter. Fallobst. Und … und … und …
(Grafiken: CanvaPro, Fotos: Heike Pohl)
Wunderschön geschrieben. Und ich gehe jetzt auf die Weck-Seite.
Ich hoffe ja noch, dass man den Geschäftsbereich retten kann. Sonst muss der Flohmarkt her 😀
Ja, das Einwecken erlebt bei uns auch eine Renaissance! Durch die Angst einer Energiekrise habe ich auch wieder vermehrt eingeweckt. Die riesige Gefriertruhe war mir plötzlich nicht mehr ganz so sicher. Ich hoffe, dass uns die Gläser noch lange erhalten bleiben!
Liebe Grüße <3
Liebe Sabine, ich mach ja nicht soooooo viel ein, nutze die Gläser und Flaschen aber gerne zwischendurch. Wenn ich Majonäse mache, Oliven serviere oder eingelegte Tomaten, für Süßspeisen und Co. und natürlich für den Holundersirup. Und ab und an gibts mal einen Rumtopf zu Weihnachten oder sommers Rote Grütze im Glas. 🙂 Da bist du viel fleißiger!
Ein wunderschöner Beitrag, liebe Heike! – Ich fühle mich an meine erste Wohnung (muss so Anfang der Achtziger gewesen sein) erinnert: Einliegerwohnung in einem Einfamilienhaus in Nordhessen. Ein Zimmer, Küche, Bad. Sie lag direkt über dem Keller des Hauses, in dem die „Herrscherin des Hauses“ (im wahrsten Sinne des Wortes) das Eingemachte mehrerer Generationen lagerte. Stolz zeigte sie mir beim Einzug die Köstlichkeiten, die dort aufbewahrt wurden: Es fanden sich große Mengen „Weck-Gläser“, mit Aufschriften wie „Gurken 1924“, „Birnen 1928“ usw. Ein Anblick, der mir tatsächlich Angst machte…
Und irgendwann – einige Monate später – war es dann soweit. Es war ein später Samstagabend, den ich vor dem Fernseher verbrachte: Plötzlich und mit unheimlicher Lautstärke waren „Detonationen“ zu hören, die eindeutig aus dem Keller kamen. Mir gingen Dinge wie „Krieg“ und „Anschlag“ durch den Kopf. – Am Ende waren es aber nur die vielen „Weck-Gläser“, die dort – wohl ausgelöst durch Gase – regelrecht explodierten.
Es war schaurig. Aber tatsächlich meine lebendigste Erinnerung an diese Gläser
Lieber Werner Pechmann, ein Ex-Freund hatte eine Dose Bohnen im Schrank, mit der war er länger zusammen, als mit mir. Ihre Sorgen sind mir also vertraut. In diesem Sinne: Herzliche Grüße und vielen Dank für den erfrischenden Kommentar.